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Darüber reden, wenn's nicht läuft - ein Interview von MOZ.de mit Ulla Gläßer

Frankfurt (Oder) (MOZ) Konflikte in Organisationen wie auch in Familien gehören zu den Schwerpunkten der Forschung von Ulla Gläßer. Sie hat eine Professur für Mediation, Konfliktmanagement und Verfahrenslehre an der Europa-Universität in Frankfurt (Oder) inne.

Frau Gläßer, sind Konflikte in Corona-Zeiten für Sie nur ein theoretisches oder auch ein persönliches Problem?


(Lacht) Auf jeden Fall auch Letzteres. Zum einen ist es sehr zeitaufwendig, wenn man die gesamte Lehre an der Uni auf online umstellt und das auch noch gut machen will. Zum anderen muss ich gerade drei universitäre Teams online führen. Und wir haben zu Hause zwei Kinder, die im Homeschooling von uns betreut werden. Also ich hab jetzt noch ein Drittel freie Zeit wie früher, und das war schon nicht viel.


Was ist denn ein typischer Konflikt in dieser Zeit?


Das klassische Thema ist: Wie wird diese zusätzliche Rund-um-die-Uhr-Kinderbetreuung vom Homeschooling bis zum Essen-auf-den-Tisch-stellen organisiert, wenn beide Eltern arbeiten und vielleicht auch noch im Homeoffice sind? Wer macht was? Und wie klappt das? Diese Konflikte sind rund um mich herum am Blühen, das weiß ich auch aus vielen Telefonaten.


Im Sinne von: Wie bringt Mama Papa dazu, dass er auch was macht?


Eigentlich sollte ja klar sein, dass Erziehung und Betreuung nicht nur die Aufgabe eines Elternteils sind. Und dass nicht der eine den anderen bitten muss, auch was zu tun. Wenn das nicht klappt, sollte es wie bei einem Projektmanagement  in einer Firma laufen, dass man sich zusammen hinsetzt und fast schon generalstabsmäßig plant, was geht und was nicht. Außerdem müsste man – auch wie auf Arbeit – regelmäßig ein Controlling machen. Gemeinsam analysieren: Wie war es in dieser Woche? Was hat gut geklappt? Wer ist womit unzufrieden? Was müssen wir verändern?

Schließlich – und das ist jetzt schon der mediative Ansatz  – darf man die gegenseitige Wertschätzung nicht vergessen. Also nicht immer nur kritisieren, sondern auch den anderen würdigen.


In diesen Zeiten, wo jeder einzelne Mitarbeiter zu Hause am Computer vor sich hin arbeitet, ist es auch im Beruflichen eine Verantwortung von Führungskräften, immer wieder zu fragen: Wie geht es Euch? Passt das so? Sollten wir etwas an den Rahmenbedingungen ändern?

Was halten Sie von der Bemerkung: Die Eltern können doch  froh sein, dass sie ihre Kinder intensiver kennenlernen?


Grundsätzlich ist da durchaus etwas dran. Das Problem ist jedoch: Der Tag hat nun einmal nur 24 Stunden. Wenn man voll arbeitet und irgendwann auch schlafen möchte, hat man nur begrenzte Zeit und Energie, sich auf diese Anforderungen einzulassen. Wenn etwa die Schule fordert, dass ich um halb elf mein Kind online einlogge, ich mich selbst aber gerade in einer Prüfung befinde, geht das nicht so einfach.


Das liegt ja sicher auch daran, dass wir alle noch nicht so gut digital ausgestattet sind?

Nicht nur. Wenn die Kinder noch nicht alt genug sind, um sich selber einzuloggen, oder wenn sie nicht wieder allein ins Netz kommen, falls sie mal rausgeflogen sind, brauchen sie Begleitung.

Gibt es Situationen, in denen Ihnen Ihre Kenntnisse als Konfliktexpertin privat helfen?

Meist das ganz pragmatische, mediatorische Handwerkszeug. Zum Beispiel sollte man immer auch versuchen, im Handeln des anderen die legitime Motivation zu erkennen. So sehr mich mein Gegenüber gerade nervt, steht wahrscheinlich etwas dahinter, was – in Anführungsstrichen – "sein gutes Recht" ist.


Der Gedanke: "Der will mich jetzt nicht ärgern, sondern drängt auf etwas, was auch seine Berechtigung hat", bremst mich. Und wenn ich herausfinde, was das ist, kommen wir am besten weiter. Als Mediator trainiert man auch stark die Fähigkeit, sich selber mal von außen zu sehen und entdeckt dabei, dass das eigene Verhalten nicht immer rosig ist.


Nun hat man oft das Gefühl, ich versuche ja, auf den Partner oder die Partnerin einzugehen. Doch von der anderen Seite kommt zu wenig Verständnis für meine Situation!


Wollen Sie jetzt von mir den einen goldenen Trick hören, der in allen Lagen hilft?

Na man hofft natürlich, es gebe diesen Trick! Oder läuft es darauf hinaus, dass ein Dritter als Unparteiischer da sein sollte?


Manchmal ist ein Dritter tatsächlich der beste Musterunterbrecher. Gerade in länger andauernden Beziehungen – egal, ob nun privat, unter Freunden oder auch auf Arbeit – gewöhnen sich die Menschen Muster im Umgang miteinander an. Es ist ganz schön schwer, da nur durch guten Willen ohne Dritte wieder herauszukommen.


Es kann helfen, wenn man in einem ruhigen Moment versucht, gemeinsam von oben auf die Konflikt-Situation zu schauen. Das gelingt aber nicht, wenn man gerade mittendrin steckt. Es gibt einen sehr gut untersuchten psychologischen Effekt, der heißt reaktive Abwertung. Wenn ich gerade in einem Konflikt bin, empfinde ich fast alles, was der Konfliktgegner sagt, als Angriff. Auch wenn es gar nicht so gemeint war.


Vor der Corona-Zeit wäre man einfach mit Freunden zum Bier gegangen und danach mit anderer Laune zurückgekommen. Jetzt aber war auch noch die Kneipe zu!

Aber Joggen ist auch ganz schön zum Runterkommen, oder?


Mir hat in dieser Corona-Zeit auch geholfen, wenn ich im Gespräch von anderen gehört habe, dass ich gerade nicht allein solche Probleme habe.


Ich habe auch viele Stoßseufzer am Telefon gehört. Man muss es zugeben, wenn einem etwas weh tut. Und nicht in diese Pseudo-Aktivität verfallen: Jetzt räume ich erst mal die Garage auf und dann ist alles wieder gut.


In Mediationen führt es zu Wendepunkten, wenn es auch einmal zu einem Ausbruch kommt, die Tür knallt oder jemand anfängt zu weinen. Dann kann es wie bei einem reinigenden Gewitter sein. Aber auch das ist zumeist leichter in Anwesenheit eines Dritten.



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