In Changeprozessen geht es immer wieder darum, was bewahrt werden kann, was verändert werden soll und was losgelassen werden muss. Alle drei Komponenten sind gleich wichtig, denn in jedem Wandel bleiben bestimmte Dinge, Prozesse oder Werte erhalten. Anderes wird vermehrt oder vermindert - verändert auf jeden Fall. Es gibt aber auch Bewährtes oder Liebgewonnenes, bewusst Gewolltes oder hart Erarbeitetes, das trotzdem es so wichtig erscheint, nicht mitgenommen werden kann in das Neue.
Was macht das Loslassen so schwer? Meist sind damit Ängste verbunden und Trauer. Beides wiegt schwer und beides muss in einem Veränderungsprozess anerkannt werden und das benötigt Zeit. Zeit, die wir uns nehmen müssen, als diejenigen, die im täglichen Tun und Wirken nicht nur von der Veränderung betroffen sind, sondern vor allem als diejenigen, die die Veränderung gestalten und tragen. Und auch als Führungskraft, die die Veränderung anleitet und aktiv gestaltet. Aber auch als externe Moderator*innen ist es unsere Aufgabe, dass alle Ängste und Befürchtungen nicht sofort aufgehoben werden – denn das geht gar nicht und ist auch nicht sinnvoll. Ängste und Befürchtungen zeigen sich in Widerständen, die angesprochen, gehört und damit anerkannt werden müssen. Sie machen etwas deutlich und sie zeigen, was gebraucht wird, um im Neuen gut anzukommen.
In der Zusammenlegung von zwei Kindertagesstätten mit unterschiedlichen Konzepten, geht es nicht darum, wer das bessere Konzept hat, das modernere oder bewährtere. Beide Konzepte haben über Jahre hinweg gut funktioniert. Viele Kinder und viele Eltern waren glücklich, dass die Pädagog*innen nach diesem oder jenem Ansatz gearbeitet haben und diese oder jenen Schwerpunkte umgesetzt haben. Bei der Fusion der Häuser war klar, dass es kein Schlucken geben wird, es wird nicht das eine aufgelöst und das andere überlebt. Nein, es sollte eine Einigung geben und das Beste beider Häuser in der neuen Patchwork-Kita zu tragen kommen. Auf der pädagogischen Ebene könnten relativ einfach neue Konzepte entwickelt werden. Was aber besonders wichtig ist, ist die einzelnen Bedenken der Mitarbeiter*innen ernst zu nehmen: Verliere ich den Kontakt zu den Kindern? Kann ich den Fortschritt der Kinder gut genug beobachten und fördern? Kann ich die mir so wichtige Partizipation und Mitsprache der Kinder weiterhin unterstützen? Geht ein Stück meiner konzeptionellen Arbeit der letzten Jahre verloren und damit das, wohin ich mich ideell entwickelt habe? Erst im weiteren Arbeiten, wenn beide Häuser im Sommer zu einem geworden sind, werden all die Fragen tatsächlich beantwortet werden und es wird nicht nur „ja-nein-Antworten“ geben. Wie im agilen Arbeiten wird in der nächsten Zeit angefangen, in neuen Teams zusammen zu arbeiten und dann wird die Entwicklung begleitet, evaluiert und Dinge werden angepasst und verändert werden. Es wird sich zeigen, wie gut das Loslassen funktioniert hat und wie viel Luft für das Gemeinsame und das Neue entstanden ist.
Loslassen kann auch bedeuten, mich von meinen eigenen Lebenskonzepten lossagen zu müssen, obwohl ich es nicht will. Weil das Leben anders verläuft, weil Pläne nicht aufgehen oder weil ungeplante Momente mich in eine andere Richtung zwingen. Manche nennen es Zufall, andere Schicksal wieder andere Fügung. Als Mediatorin begleite ich viele Trennungen und erlebe, dass Menschen die von ihrer Partnerin/ihrem Partner verlassen wurden mit dem eigenen Leben zeitweise hadern und es schwer fällt die Entscheidung des anderen ohne Wut zu akzeptieren – einfach weil es so schmerzhaft ist. Wir wissen ja: Wut ist nicht schön, aber immer noch besser als diese verdammten Schmerzen, die darunter vergraben sind. Und in so einem Moment loszulassen, erscheint unmöglich. Loslassen bedeutet, aktiv und selbstbestimmt zu handeln und das funktioniert erst, wenn es von innen heraus kommt, wenn ein Sinn darin gesehen wird, ein Mehrwert, eine mögliche Verbesserung. Manchmal muss dafür das Alte entzaubert werden. Manchmal muss es akzeptiert werden. Manchmal muss angenommen werden, dass die Veränderung schon längst stattgefunden hat. In jedem Fall ist es zeitweise unangenehm und tut weh. Und in den meisten Fällen geht es den Menschen hinterher besser, denn mit der Entzauberung, geht auch eine Enttäuschung einher – und ist das nicht cool? Ent-täuscht zu werden (von dem/der anderen oder von sich selbst) und hinterher ehrlich, frei und selbstbestimmt zu sein, weil das Alte losgelassen wurde.
Zoë Schlär
Comentários