Ich war am letzten Wochenende bei einer Demo am Brandenburger Tor und habe mit der Taschenlampe für Vielfalt und gegen Faschismus geleuchtet. Aber reicht das ? Reicht es, mit den 35.000 oder 100.000 Menschen, die wie ich denken, zu demonstrieren? Oder muss ich nicht auch dort etwas sagen, wo Menschen anderer Meinung sind als ich? Und insbesondere dort.
Als Mediatorin trage ich eine Verantwortung: Ich schaffe Räume, in denen Zusammenarbeit, Verständnis und konstruktive Kommunikation gefördert werden. Meine Neutralität ist dabei ein zentraler Bestandteil meiner Arbeit. Sie gibt den Teilnehmenden die Sicherheit, dass ich keine eigene Agenda verfolge und mich nicht inhaltlich einmische. Doch wie verhalte ich mich richtig, wenn antidemokratische oder diskriminierende Äußerungen den Raum betreten?Hier beginnt ein Balanceakt zwischen Neutralität und Haltung. Denn während ich mich aus den Inhalten der Diskussion heraushalte, kann ich nicht schweigen, wenn Grundwerte wie Vielfalt, Respekt und ein demokratisches Miteinander infrage gestellt werden.

Meine Rolle ist es, den Rahmen für einen fairen Dialog zu gestalten. Dabei gehört es zu meinen Grundprinzipien, alle Teilnehmenden wertschätzend zu behandeln – unabhängig von ihrer Perspektive. Aber Wertschätzung bedeutet nicht, jede Äußerung unwidersprochen stehenzulassen. Ich denke, antidemokratische Haltungen oder Aussagen, die die Würde anderer Menschen verletzen, stehen den Grundprinzipien meiner Arbeit entgegen.Ich frage mich, wie ich eine klare Haltung einnehmen kann, ohne mit der Person in eine Diskussion abzudriften. Meine Aufgabe ist hier nicht, politische Bildung zu betreiben, sondern einen Workshop zu moderieren. Oder ist Demokratiebildung immer meine Aufgabe?
Neulich begegnete mir folgende Aussage in einem Workshop: „Wir Deutschen müssen uns wieder mehr um uns selbst kümmern. Wir kommen in unserem eigenen Land zu kurz!“ Es gab viel Zustimmung durch Nicken im Raum. Ich war erst perplex und habe dann gespiegelt, indem ich meine Interpretation zur Verfügung stellte: „Du sorgst dich um die politische und gesellschaftliche Situation in Deutschland?“ Nach seiner Zustimmung ging es weiter im Kontext der Zusammenarbeit des Teams, und der Workshop verlief ohne weitere Stolpersteine.
Seitdem überlege ich: Was hätte ich besser machen können? Hätte ich mich hier positionieren müssen? Ich habe die Situation in meiner Intervisionsgruppe reflektiert und mit meiner Lieblingskollegin besprochen. Ich habe mich mit meinem Mann, meiner Familie und mit Freundinnen ausgetauscht und noch keine Antwort gefunden. Denn auf der einen Seite steht meine Überzeugung der grundsätzlichen Neutralität in Arbeitsprozessen und der Fokussierung auf die Ziele und Inhalte der Workshops sowie meine Abhängigkeit von (Wieder-)Beauftragung der Kundschaft. Auf der anderen Seite steht mein Anspruch darauf, für demokratische Werte und Vielfalt zu stehen, den Dialog zu fördern und Haltung zu zeigen.
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