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Feministische Haltung in der Mediation - über Macht, Gleichwürdigkeit und Verantwortung

Aktualisiert: 20. Okt.


Der Beitrag von Kristin Kirchhoff im Spektrum der Mediation Ausgabe 101 über Macht und Abhängigkeit in Organisationen hat mich nachhaltig beschäftigt und zum Weiterdenken inspiriert. Er legt offen, wie tief strukturelle Ungleichgewichte in Organisationskulturen wirken und wie entscheidend die Haltung der Mediatorin oder des Mediators ist, wenn es darum geht, diese sichtbar und bearbeitbar zu machen.

Mediator:innen mit einer feministischen Haltung gehen nicht nur von einem meditativen Grundverständnis aus, sie weiten den Blick. Sie verstehen Konflikte nicht nur als Kommunikationsstörung, sondern als Spiegel gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Sie sehen, dass Geschlecht, Rolle, Sprache und Zugehörigkeit den Raum formen, in dem Verständigung stattfindet oder scheitert.


Strukturelle Macht als unsichtbarer Dritter

Macht wirkt nie nur zwischen Individuen, sondern immer auch über Systeme, Rollen und Normen. In Organisationen tritt sie oft als Rationalität, Leistungsorientierung oder „Sachlichkeit“ auf. Doch diese scheinbar neutralen Begriffe sind selten neutral. Sie schreiben unbewusst fort, wessen Stimme als professionell gilt und wessen Perspektive als emotional, fürsorglich oder zweitrangig wahrgenommen wird.

Mediator:innen mit einer explizit feministischen Haltung machen solche Dynamiken sichtbar. Sie wissen, dass strukturelle Ungleichheit nicht durch bloße Fairness verschwindet, sondern durch die bewusste Gestaltung von Räumen, in denen Machtverhältnisse nicht nur reflektiert, sondern auch thematisiert und dadurch gegebenenfalls verändert werden können.


Zwischen Allparteilichkeit und Parteinahme

Allparteilichkeit bleibt ein zentrales Prinzip der Mediation. Doch in asymmetrischen Konstellationen genügt formale Gleichbehandlung nicht, um Gleichwürdigkeit herzustellen. Mediator:innen mit einer feministischen Haltung verstehen Allparteilichkeit nicht als Gleichsetzung, sondern als bewusste Parteinahme für Sichtbarkeit, Sicherheit und Balance. Sie achten darauf, dass Stimmen Gewicht bekommen, die sonst leicht überhört werden. Sie gestalten Strukturen, die Menschen mit geringerer formaler Macht ermöglichen, sich zu äußern, ohne sich zu exponieren. Sie erkennen, dass Schweigen, Ironie oder Rückzug oft Ausdruck von Ohnmacht sind und machen auch diese Formen von Kommunikation anschlussfähig.


Sprache, Körper und Deutungshoheit

In dieser Arbeit wird Sprache selbst zum Gegenstand. Denn wer die Begriffe prägt, prägt auch die Bedeutung. Was als „sachlich“, „professionell“ oder „emotional“ gilt, ist Teil der Machtstruktur eines Systems. Feministisch sensibilisierte Mediator:innen hören nicht nur, was gesagt wird, sondern auch, welche Personen, Gesten und Ausdrucksformen welchen Raum finden dürfen und welche nicht und machen dies sichtbar und hörbar ohne zu bewerten. 


Haltung statt Technik

Feministische Mediation ist keine Methode, sondern meiner Ansicht nach eine ethische und politische Haltung. Sie verlangt Bewusstsein für Macht und Einfluss, für das eigene Eingreifen und die eigenen Begrenzungen. Sie fragt nicht: „Wie bleibe ich neutral?“, sondern: „Wie gestalte ich Gerechtigkeit, ohne die Verantwortung dafür an das Verfahren abzugeben?“

Diese Haltung erfordert Selbstreflexion, Mut und die Bereitschaft, Ambivalenz zuzulassen. Sie bedeutet, die eigene Position nicht zu verleugnen, sondern verantwortlich zu nutzen, um Räume zu schaffen, in denen Verständnis wachsen kann - auch dort, wo Strukturen ungleich sind.


Transformative Kraft

Wenn Mediation Machtfragen ernst nimmt, kann sie zu einem Ort werden, an dem Veränderung beginnt. Sie macht sichtbar, wer wie gehört wird, und eröffnet Organisationen die Chance, ihre Zusammenarbeit neu zu denken.

Macht verschwindet nicht, sie wird anders eingesetzt. Mediator:innen mit einer feministischen Haltung nutzen ihre Gestaltungsmacht, um Beteiligung zu ermöglichen, Sicherheit herzustellen und kollektive Verantwortung zu fördern.


Macht im Blick
Macht im Blick

Fazit

Feministische Mediation ist keine Gegenbewegung zur professionellen Neutralität, sondern deren Weiterentwicklung. Sie verbindet analytisches Denken mit Empathie, strukturelles Bewusstsein mit Beziehungskompetenz.

Sie schafft Räume, in denen Unterschiedlichkeit nicht geglättet, sondern verstanden wird und zwar als Voraussetzung für echte Verständigung.

Mediator:innen mit einer feministischen Haltung verändern nicht nur Gespräche. Sie verändern die Bedingungen, unter denen Menschen überhaupt gehört werden können.


 
 
 

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